Karfreitagsprozession in Pollença - Ostern auf Mallorca

Am Gipfel des Kalvarienbergs bewachen römische Soldaten den gekreuzigten Leichnam Christi. Unter ihrem strengen Blick klettern Mönche in braunen Kutten auf das riesige Kreuz. Sie nehmen die Statue der sterblichen Überreste des Sohn Gottes ab und bereiten sie für die letzte Reise vor.

Dieses Schauspiel wiederholt sich Jahr für Jahr am Abend des Karfreitags in der mallorquinischen Stadt Pollenca. Es ist die wichtigste Feierlichkeit im Ort, Pollencas Höhepunkt der heiligen Osterwoche.

Gleiche Zeremonie seit fast 400 Jahren

Seit 1650 findet der Trauerumzug dort auf dieselbe Art und Weise statt: Nachdem die Mönche der Bruderschaft „Descendimiento“ Christus vom Kreuz nehmen, beginnt die Prozession von der Spitze des Kalvarienbergs über die berühmten Treppen der Stadt hinab in die Pfarrkirche.

Angeführt von den Trägern des Leichnams schreiten die Mitglieder weiterer Bruderschaften hinter der heiligen Statue her. Sie tragen bunte Roben und Spitze Kapuzen, die ihr gesamtes Gesicht bedecken. Nur zwei kleine Sehschlitze für die Augen bleiben als Verbindung zur Außenwelt.

Ihr Anblick erinnert an die Mitglieder des Ku-Klux-Klans, ihre Bedeutung ist aber eine andere: Die Kapuzen gehen zurück auf die freiwilligen Helfer in der Zeit der Pest. Diese trugen sie als Schutz vor Ansteckung. Heute dienen die sogenannten „Capirotes“ als Schutz der Anonymität für die Mitglieder der Bruderschaft. Buße tun ist eine Privatangelegenheit.

Teilnahme für die Befreiung von den Sünden, für die Verstorbenen und für die Kranken

365 Stufen muss der Trauerzug schweigend hinabschreiten. Für jeden Tag im Jahr gibt es eine Stufe, um die Buße zu tun und sich von den Sünden zu befreien. Als Mitglied einer Bruderschaft an der Prozession teilzunehmen, ist für Spanier eine Ehre. Während sie hinter der Christusstatue marschieren, gedenken die Menschen unter den Roben ihrer verstorbenen Angehörigen oder beten für kranke Familienmitglieder. Die Nähe zu Christus soll die Heilung im Glauben fördern.

Die Mitgliedschaft in einer Bruderschaft ist etwas Besonderes. Sie wird vererbt und geht vom Vater auf den Sohn über. In modernen Bruderschaften sind auch Frauen als Mitglieder zugelassen, es wurden sogar einige Schwesternschaften gegründet. Auf Mallorca gibt es mehr als 50 solcher Bruderschaften. In Pollenca gelten neben der Bruderschaft „Descendiminento“ (nimmt Christus vom Kreuz), noch „Sangre de Cristo“ (Bruderschaft vom Blute Christus) und die Bruderschaft vom Kalvarienberg zu den wichtigsten.

Die Beisetzung in der Pfarrkirche beendet die Zeremonie

Erreicht der Trauerzug den Fuß der Treppe, folgt der Marsch zur Kirche. Dort wird der Leib Christi beigesetzt. Die „Davallament“, die Prozession der Kreuzabnahme, findet damit ihr Ende. Der mystische Höhepunkt der Semana Santa, der heiligen Osterwoche, ist in Pollenca erreicht.

Die Osterzeremonien und ihre Bedeutung in Spanien

Im spanischen Kalender hat die heilige Osterwoche einen besonderen Stellenwert. Landauf, landab, auf dem Festland und auf den Inseln wird sie zelebriert. Je nach Region des Königreichs etwas abgewandelt. Es gibt Hunderte verschiedene Feiern in allen Ecken des Landes.

Zwar wurden schon früher Osterfeierlichkeiten in Spanien abgehalten (in Pollenca bereits im 13. Jahrhundert), der Ursprung der Osterprozession im heutigen Sinn, geht allerdings auf das 16. Jahrhundert zurück. Die Tradition der Semana Santa wurde von der katholischen Kirche gegründet, um dem Volk die Passion Christi näher zu bringen. Vom andalusischen Sevilla aus verbreitete sich der Brauch auf ganz Spanien, sogar bis nach Lateinamerika.

Bis heute haben sich die Prozession-Feierlichkeiten nur wenig verändert und an Prunk und Faszination nichts eingebüßt. Die Hüter der Tradition sind die Bruderschaften, die „Cofradias“. Mehr als 50 davon gibt es alleine auf Mallorca.

Die Osterprozession als touristisches Highlight

Die Zeremonie in Pollenca gewährt Urlaubern einen tiefen Einblick in eine wichtige spanische Tradition. Obwohl die Buße für die Spanier reine Privatsache ist, ist dennoch jeder herzlich willkommen, der sich dieses christliche Ritual ansehen möchte. Von der Kapelle oben auf dem Kalvarienberg, über die berühmte Treppe, bis hinein ins innere der Pfarrkirche säumen Jahr für Jahr Hunderte interessierte Urlauber den Weg des Trauerumzugs. Die Prozession in Pollenca ist mittlerweile sogar oft Ziel vieler kultur- und religionsinteressierter Touristen.

Die Spanier sind stolz auf diese Tradition und freuen sich darüber, dass sie so einen Teil ihrer Kultur in die Welt hinaustragen können. Zu beachten ist allerdings: Handelt es sich – wie in Pollenca – um eine schweigende Prozession, so sollten auch Urlauber sich daran halten. Falls man unsicher ist, orientiert man sich am besten am Verhalten der Einheimischen. Dadurch kann man die Stimmung rund um das mystische Ritual nicht nur besser einfangen, man stellt auch sicher, dass man die Feierlichkeit nicht stört.